13.02.2022 – Gran Canaria – Santa Lucía de Tirajana
Es ist noch dämmrig draußen. Den Rolladen lasse ich immer einen Spalt breit offen, damit ich mich besser orientieren kann, wenn ich aufwache. In einem komplett dunklen Zimmer zu schlafen, finde ich unheimlich. Es ist ein Gefühl, wie ohne Zeit und Raum zu sein.
Spätestens als der Hahn beginnt zu krähen, bin ich beruhigt. Ein neuer Morgen bricht heran. Der Gute scheint jedoch heute besonders gut gelaunt zu sein. Mit vier Hühnern im Stall muss der Tage für ihn ja gut beginnen. 😉 Ich muss leider das Fenster schließen, um nicht alle 5 Minuten aus den letzten Zügen meines wertvollen Schlafes gerissen zu werden.
Lange dauert er nicht mehr. Das Tageslicht spitzt frech durch den offenen Spalt und die Lamellen. Ganz so als ob es mich an den Füßen kitzeln will, damit ich es endlich beachte. Also gut.
Langsam streife ich die Schwere und Müdigkeit der Nacht von mir wie eine Schlange, die sich häutet. Ich schlage die Bettdecke zurück und schüttele damit endgültig alle diffusen Gedanken von mir ab.
In der Nirgendwelt zwischen Ende der Nacht und Beginn des neuen Tages treiben sie nur allzu gerne ihre Spielchen mit mir. Sie sind wie Kobolde, die allein aus dem Grund ihr Unwesen treiben, um einen zu ärgern und auf sich aufmerksam zu machen.
Sie tun alles dafür, mein natürliches und sanftes Fließen durch den Tag zu stören. Sie sind regelrechte Flow-Fresser. Aber da das einfach ihre Natur ist, kann ich ihnen nicht mal böse sein. Das Allerbeste ist, sie einfach zu ignorieren. Und wenn sie morgens gar garstig sind, werde ich beim ersten Krähen des Hahnes das Fenster einfach weit öffnen statt es zu schließen. Das wird sie garantiert vertreiben.
Ich öffne den Rolladen vom Bett aus und schaue aus der Tür in das wunderschöne, noch von der Sonne ungeküsste kanarische Bergpanorama. Eine friedliche Stimmung und tiefe Ruhe liegt noch wie ein transparenter Schleier über der Natur. Die Finca heißt nicht umsonst ‘Gran Calma’.
Eine Weile bleibe ich sitzen und schaue nur. Vor mir liegt der Garten der Finca wie ein Teppich aus Orangenbäumen, Chili-Büschen, Kartoffelfeldern und Olivenbäumen. Da die Finca erst vor kurzem den Besitzer gewechselt hat, wurden einige Kostbarkeiten der Natur anscheinend nicht rechtzeitig geerntet.
An einem riesigen Feigenbaum hängen unzählige verdorrte Feigen.
Unter den Olivenbäumen breitet sich ein immer größer werdender Teppich aus schwarzen Oliven aus. Ich googele, wie man Oliven verarbeitet. Es dauert einige Wochen, bis durch permanentes Wässern die Bitterstoffe ausgeschwemmt sind und sie anschließend in einer Salz-Zitronensäure-Lösung eingelegt ‚fertig‘ sind. Und schmackhaft sind. Die schwarzen Oliven mag ich am liebsten weil sie einen so vollmundigen runden Geschmack haben. Sie tragen das süße reife Leben ins sich.
Theoretisch könnte ich die Prozedur schaffen, bliebe ich bis zu meiner Abreise in 6 Wochen hier. Aber das Meer ruft auch. 😀
Ich fange an, in Gedanken zu schwelgen. Wie sähe es wohl aus, das Leben auf einer kleinen Selbstversorger-Finca mit Palmen im Garten?
Wie sieht eigentlich überhaupt mein ideales Leben aus?
Wenn ich es mir wirklich und wahrhaftig aussuchen könnte.
Wie würden perfekte Tage für mich aussehen?
Etwas in mir beginnt zu kribbeln. Es macht ein Geräusch in mir so aufgeregt wie eine Teenagerbande Grashalme, die im Wind miteinander tuschelt. Etwas in mir erinnert sich ameisenschrittweise. So also fühlen sich echte, lustige, verrückte Träume also an! Wow, wie konnte ich das vergessen …
Seit langem zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass die sonnigen und unbeschwerten Bilder in meinem Herzen nicht aus einem der vielen Instagram oder Facebook-Accounts kommen. Sie purzeln wie Seifenblasen aus einer fast vergessenen Schublade, die in einer kleinen bunt verschnörkelten Kommode mit roten Knöpfen auf dem Speicher meiner Seele nur darauf gewartet hat, endlich von mir entdeckt zu werden.
Jede einzelne ist wunderschön und schillert in allen Farben des Regenbogens. Sobald sie frei sind, lassen sie sich von dem leisesten Windhauch hoch hinauf tragen. Ohne jeglichen Widerstand steigen sie schneller und höher, bis man sie kaum noch erkennen nach.
Sie faszinieren uns Erwachsene genauso wie die Kinder und wir schauen ihnen liebend gerne nach, bis sie mit dem blauen Himmelsmeer und den Wolken verschmolzen sind. Wir fragen uns, wie sie gleichzeitig so fragil, aber auch so stabil sein können, um unversehrt so weit fliegen zu können.
❤️
Ich mache die Augen auf und merke, dass die Sonne schon hinter der Sierra verschwunden ist und es langsam kühl wird. So vertieft bin ich in mein Bild, das ich gerade im Garten der Finca mit meinen neuen Aquarellstiften male. Kurz vor meinem Abflug hab ich sie am Flughafen in München entdeckt. Lange schon wollte ich endlich auch mal mit Aquarellfarben malen. Und diese hier waren praktisch, handlich und zauberhübsch zugleich.
Zusammen mit einem Postkartenblock und einem Spitzer bin ich nun für meine laienhaften sporadischen künstlerischen Versuche bestens ausgerüstet.
Ups, da ist sie wieder – die Bewertung. Das soll man wirklich nicht tun. Es schadet nur uns selbst und wir machen uns damit klein. Understatement ist das coolere Wort für die gleiche für uns selbst wenig hilfreich Aktion.
Also nochmal neu. Wenn ich ganz ehrlich bin, liebe ich meine Malereien. Ich finde sie meistens sogar richtig schön. Weil ich eben nur male, wenn ich auch wirklich Lust dazu habe.
Ich packe meine Sachen zusammen und gehe ins Haus. Mein Magen meldet Appetit an. Wie schnell doch dieser unglaublich idyllische und erfüllte Tag vergangen ist.
Mittlerweile ist es schon dunkel und meine Augenlider werden schwer. Ich bin müde, aber fühle mich ganz weit und leicht. Es wird langsam Zeit, mit den Seifenblasen um die Wette zu fliegen. Ich bin gespannt, welche neuen Bilder meine Träume in mein Herz zeichnen werden.
Dann schließe ich den Rolladen – bis auf einen kleinen Spalt – und knipse das Licht aus.
Wunderschön, liebe Daniela. Ich lese deine Texte sehr gerne.
Ganz lieben Dank liebe Iris 🥰